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Bewegungs-, Spiel- und Sportangebote für Kinder und Jugendliche nach der Corona-Pandemie

Die Corona-Pandemie begleitet das private und gesellschaftliche Leben seit eineinhalb Jahren weltweit. Auch das Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen im sowie ihr Bewegungs- und Sportverhalten werden davon maßgeblich beeinflusst. Neben der Schließung von Kindergärten und Schulen waren die meisten Freizeitaktivitäten untersagt. Sportvereine und Schwimmbäder wurden geschlossen, die Bewegungsfreiheit im öffentlichen Raum (z.B. auf Spielplätzen) war eingeschränkt. Während der Umfang alltäglicher Bewegungsaktivitäten von Kindern und Jugendlichen im ersten Lockdown zunächst zunahm (Schmidt et al., 2020, S. 3), haben sich die Bewegungsumfänge junger Menschen im zweiten Lockdown deutlich reduziert (Schmidt et al., 2021, S. 11). Sportliche Aktivitäten sind in beiden Phasen massiv zurückgegangen, die Medienzeit stieg dagegen erheblich. Mögliche Folgen sind eine Zunahme motorischer Defizite, psychosoziale Belastungen und gesundheitliche Beeinträchtigungen. Viele Jugendliche, aber auch viele Eltern fühlten sich zudem in ihren Teilhabemöglichkeiten eingeschränkt und mit ihren Sorgen im Stich gelassen. Heranwachsende aus sozial benachteiligten Gruppen sind von die-sen Entwicklungen in besonderer Weise betroffen (Andresen et al., 2020a, b).

Die im Vergleich zu anderen Teilbereichen ohnehin schon geringe gesellschaftliche Unterstützung des Kinder- und Jugendsports ist unter den Bedingungen der Pandemie noch einmal deutlicher hervorgetreten (Kauer-Berk et al., 2020). Heranwachsende wurden vor allem als Lernende (in schulischen Kern-fächern) betrachtet, nicht aber als junge Menschen mit legitimen und entwicklungsbedeutsamen Freizeitbedürfnissen (Voigts, 2020). Vor diesem Hintergrund sind gesamtgesellschaftliche Bestrebungen zur Überwindung der damit verbundenen Probleme und Herausforderungen dringend erforderlich. Kinder und Jugendliche brauchen einen raschen und unkomplizierten Zugang zu Bewegungs-, Spiel- und Sportangeboten. Zugleich müssen dringend Konzepte für den Kinder- und Jugendsport unter pandemischen Bedingungen entwickelt werden, um auf zukünftige Krisen vorbreitet zu sein. Wir empfehlen, die Aktivitäten und Initiativen zur Förderung Heranwachsender durch Bewegung, Spiel und Sport in einer Qualitätsoffensive Kinder- und Jugendsport zusammenzufassen. Darin sollten mindestens diese Punkte berücksichtigt werden:

  1. Anerkennung der elementaren Bewegungsbedürfnisse von Kindern und Jugendlichen sowie der besonderen Bedeutung von Bewegungsaktivitäten für das Aufwachsen junger Menschen.
  2. Bereitstellung ausreichender Ressourcen für den Neustart schulischer und außerschulischer Bewegungs-, Spiel- und Sportangebote für Kinder und Jugendliche.
  3. Ausreichende Bewegungsangebote in Kindertagesstätten und Schulen in den Pausen und im Unterricht sowie geöffnete Schulhöfe, Spielplätze und Sportanlagen am Nachmittag.
  4. Regelmäßiger Sportunterricht und umfassende Schulsportangebote, die verlässlich stattfinden und nicht zugunsten der Kernfächer ausfallen.
  5. Niederschwellige Bewegungsangebote und spezifische Förderprogramme für Kinder- und Ju-gendliche aus bildungsbenachteiligten Milieus.
  6. Mitsprachemöglichkeiten von Kindern und Jugendlichen sowie deren Familien bei der (Neu-) Gestaltung von Bewegungs-, Spiel- und Sportangeboten im kommunalen Raum.
  7. Offensive zur Qualifizierung pädagogischen Personals in Kindertagestätten, Schulen und Ver-einen, um dem erheblichen Personalmangel schnell entgegenzuwirken.
  8. Entwicklung qualitativ hochwertiger Formate digitaler Bewegungsangebote für Kinder und Ju-gendliche, die auch unter pandemischen Bedingungen umgesetzt werden können.
  9. Initiativen zur Weiterentwicklung des Kinder- und Jugendsports in Kindertagesstätte, Schule, Ganztag und Sportverein mit den Schwerpunkten Partizipation, Inklusion und Gesundheit.
  10. Entwicklung stabiler Netzwerke zur Förderung junger Menschen durch Bewegung, Spiel und Sport, die schulische und außerschulische, politische, wirtschaftliche und wissenschaftliche Akteure vereinen.
  11. Systematische Bildungs-, Gesundheits- und Jugendberichterstattung im Bereich Bewegung, Spiel und Sport für junge Menschen.
  12. Entwicklung einer Strategie zur Sicherung des schulischen und außerschulischen Kinder- und Jugendsports unter den Bedingungen eines potenziell pandemischen Zeitalters.

Forschungsverbund Kinder- und Jugendsport NRW

Prof. Dr. Nils Neuber, Westfälische Wilhelms-Universität Münster (Sprecher)
Prof. Dr. Christine Joisten, Deutsche Sporthochschule Köln (Stellvertretende Sprecherin)
Prof. Dr. Judith Frohn (Bergische Universität Wuppertal)
Prof. Dr. Thomas Jaitner (Technische Universität Dortmund)
Prof. Dr. Miriam Kehne (Universität Paderborn)
Prof. Dr. Michael Pfitzner (Universität Duisburg-Essen)
Prof. Dr. Petra Platen (Ruhr-Universität Bochum)

Der Forschungsverbund Kinder- und Jugendsport NRW ist ein interuniversitärer Forschungsverbund, der in Anbindung an den Fakultätentag Sportwissenschaft NRW organisiert ist. Die Geschäftsstelle des Forschungsverbundes Kinder- und Jugendsport NRW ist an das Institut für Sportwissenschaft der WWU Münster angegliedert und wird vom Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen finanziert. Der Forschungsverbund Kinder- und Jugendsport NRW hat sich insbesondere zum Ziel gesetzt:

  • die landesweiten Bestrebungen zur Kinder- und Jugendsportforschung zu bündeln,
  • eine kontinuierliche Kinder- und Jugendsportberichterstattung aufzubauen,
  • Forschungsprojekte zum Kinder- und Jugendsport zu initiieren und in Kooperation mit univer-sitären Partnern in NRW zu realisieren sowie
  • den Dialog zwischen Forschung und Gesellschaft, insbesondere zwischen Wissenschaft, Praxis und Politik im Sinne eines systematischen Wissenstransfers zu fördern.

Kontakt: Forschungsverbund Kinder- und Jugendsport NRW, c/o Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Institut für Sportwissenschaft, Frau Stefanie Dahl (Geschäftsführung), Horstmarer Landweg 62b, 48149 Münster. Tel. 0251/83- 39034. E-Mail: stefanie.dahl@uni-muenster.de

Literatur

Andresen, S., Lips, A., Möller, R., Rusack, T., Schröer, W., Thomas, S. & Wilmes, J. (2020a). Erfahrun-gen und Perspektiven von jungen Menschen während der Corona-Maßnahmen. Erste Ergebnisse der bundesweiten Studie JuCo. Hildesheim: Universitätsverlag Hildesheim. https://dx.doi.org/10.18442/120

Andresen, S., Lips, A., Möller, R., Rusack, T., Schröer, W., Thomas, S. & Wilmes, J. (2020b). Kinder, El-tern und ihre Erfahrungen während der Corona-Pandemie. Erste Ergebnisse der bundesweiten Stu-die KiCo. Hildesheim: Universitätsverlag Hildesheim. https://dx.doi.org/10.18442/121

Kauer-Berk, O., Burrmann, U., Derecik, A., Gieß-Stüber, P., Kuhlmann, D., Neuber, N., Richartz, A., Rulofs, B., Süßenbach, J. & Sygusch, R. (2020). Das Virus, der Sport und die Herausforderungen. Forum Kinder- und Jugendsport – Zeitschrift für Forschung, Transfer und Praxisdialog, 1 (2), 100-109. https://doi.org/10.1007/s43594-020-00016-3

Schmidt, S.C.E., Anedda, B., Burchartz, A., Eichsteller, A., Kolb, S., Nigg, C., Niessner, C., Oriwol, D., Worth, A. & Woll, A. (2020). Physical activity and screen time of children and adolescents before and during the COVID-19 lockdown in Germany: a natural experiment. Scientific Reports, 10, 21780. https://doi.org/10.1038/s41598-020-78438-4

Schmidt, S.C.E, Burchartz, A., Kolb, S., Niessner, C., Oriwol, D., Hanssen-Doose, A., Worth, A. & Woll, A. (2021). Zur Situation der körperlich-sportlichen Aktivität von Kindern und Jugendlichen wäh-rend der COVID-19 Pandemie in Deutschland: Die Motorik-Modul Studie (MoMo). KIT Scientific Working Papers, 165.

Voigts, G. (2020). Vom „Jugend vergessen“ zum „Jugend ermöglichen“: Bewegungs-, Beteiligungs- und Freiräume für junge Menschen in Corona-Zeiten. Forum Kinder- und Jugendsport, 1 (2), 93-99. https://doi.org/10.1007/s43594-020-00022-5